Zur Vorgeschichte: Islam in Deutschland
Im deutschen Sprachraum (Deutschland, Österreich, Schweiz) leben inzwischen mehr als vier Millionen Muslime, davon allein mehr als 3 Millionen in der Bundesrepublik Deutschland. Die Zeitschrift STERN veröffentlichte kürzlich (Nr. 15/2004, S. 60) eine Statistik (Quelle: Statistisches Bundesamt, Islam-Archiv), nach der etwa 63% (1,9 Mio) dieser Muslime aus der Türkei stammen. Etwa 800.000 der hier lebenden Muslime sind in Deutschland geboren und 732.000 besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit. Die übrigen kommen aus einer Vielzahl islamischer Länder, allen voran aus Bosnien und dem Iran mit jeweils ca. 5%; Araber haben einen Anteil von 9.3%. Über den Anteil deutschstämmiger Muslime werden keine Angaben gemacht; eine Zahl von 100.000 dürfte eine realistische Annahme darstellen.
Bedingt durch die unterschiedliche Herkunft seiner Anhänger bietet der Islam in Deutschland kein geschlossenes Erscheinungsbild. Wegen des hohen Anteils türkischer Muslime bestimmt in der Öffentlichkeit allerdings deren stark ethnisch (orientalisch) geprägte Form des Islam sein Gesicht. Von der deutschen Gesellschaft wird der Islam deswegen bedauerlicherweise weniger als Weltreligion, sondern in erster Linie als Ausländer- bzw. Migrantenreligion empfunden. Sicherlich spielen dabei auch die Medien eine wichtige Rolle, die mit sensationell aufgemachten Berichten den Islam mit für die deutsche Öffentlichkeit unverständlichen Stammenbräuchen wie Blutrache, Zwangsheiraten usw. in Verbindung bringen und die somit ohnehin existierenden Ängste in der Bevölkerung weiter schüren.
Den deutschen (und europäischen) Muslimen nicht-orientalischer Herkunft ist es nicht hinreichend gelungen, nach dem Beispiel der bosnischen Muslime ein eigenständiges „Gesicht” zu entwickeln .
Im Gegensatz zur landläufigen Meinung sind die Muslime nicht erst mit den türkischen Gastarbeitern in den sechziger Jahren nach Deutschland gekommen. Sieht man von Begegnungen mit Muslimen im Mittelalter ab, beginnt die Geschichte der Muslime in Deutschland mit dem Jahre 1731, als der Preußenkönig Friedrich Wilhelm I zwanzig „türkische Gardesoldaten” in seine Armee aufnahm. Ein Jahr darauf ließ der König in unmittelbarer Nähe zur berühmten Garnisonskirche in Potsdam einen Gebetssaal einrichten: Die erste Moschee in Deutschland. Im Jahre 1745 trat eine ganze Schwadron bosnisch-muslimischer Lanzenreiter ins preußische Heer ein und 1760 gab es ein selbstständiges „Bosniakenkorps” von mehr als 1000 Mann, aus dem späten die Ulanen hervorgingen. Dort gab es schon einen preußischen „Heeres-Imam”, einen Leutnant Osman. Diese Truppe zog unter der grünen Prophetenfahne ins Feld.
In neuerer Zeit, vor allem nach der Gründung des zweiten Deutschen Reiches durch Bismarck (1871) haben sich islamische Gemeinden in der Hauptstadt Berlin sowie der Hafenstadt Hamburg gebildet; es waren in erster Linie muslimische Diplomaten und Geschäftsleute, die sich zusammenfanden. In den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde in Berlin-Wilmersdorf eine noch heute genutzte Moschee errichtet.
Bereits 1798 erwarb das Osmanische Reich ein Friedhofsgelände für Muslime in der der Berliner Hasenheide. Dieser „türkische Friedhof” wurde in der Mitte des 19. Jahrhunderts an den Columbiadamm verlegt und ist bis heute erhalten. Dort befindet sich auch eine grössere Moschee im Bau.
Inzwischen gibt es selbst in kleineren Städten überall in Deutschland islamische Gemeinden oder Gruppen, die Gebetsräume oder Moscheen eingerichtet haben. Islamische Zentren mit überregionaler Ausstrahlung sind in Aachen, Berlin, Hamburg, Köln und München.
Mehrmals im Jahr werden regionale Treffen deutschsprachiger Muslime in Städten wie Aachen, Hamburg und München veranstaltet; außerdem findet in der Regel einmal im Jahr ein überregionales Treffen deutschsprachiger Muslime statt. Bei diesen Veranstaltungen werden Vorträge gehalten und Diskussionen über Themen geführt, die die islamische Welt im allgemeinen und die in Deutschland lebenden Muslime im besonderen betreffen. Außerdem lernen sich die Muslime persönlich kennen.
Ein Überblick über die Gründung der Deutschen Muslim Liga
Nach dem zweiten Weltkrieg fanden immer mehr Deutsche den Weg zum Islam und zunehmend kristallisierte sich um das Jahr 1948 herum der Wunsch heraus, eine Organisation zu haben, die Sachwalterin der Muslime deutscher Staatsangehörigkeit sein könnte und somit nützlich und hilfreich bei der Entwicklung eines kulturell eigenständig geprägten Islam in Deutschland sein würde.
Im Jahre 1952 schloß sich eine Gruppe von deutschen Muslimen in Hamburg zusammen und gründete zwei Jahre später die Deutsche Muslim-Liga e.V., die älteste kontinuierlich existierende islamische Vereinigung in Deutschland. Einige der jungen Muslime kannten sich schon länger über ihre Mitgliedschaft in der Jugendsparte des Ruderclubs Alemannia in Hamburg. Die Deutsche Muslim-Liga versteht sich seit jeher als Sachwalterin der besonderen Interessen der deutschen Staatsbürger islamischen Glaubens.
Die Gründungsmitglieder waren folgende Frauen und Männer:
- Alfons Echternach
- Jürgen Peters
- Anna (Amina) Bohnsack geb. Bentien
- Jürgen Brandes
- Joachim (Bashir) Dultz
- Günther (Amin Abdur Rahim) Neuhaus
- Wilhelm (Muhammad Ali) Nowakowski.
Im Januar 1954 war mit Hilfe der juristischen Kenntnisse des a.o. Mitglieds, Herrn Legationsrats i.R. Albrecht Röhrig, die erste Satzung fertig gestellt und der Beschluss fassenden Mitgliederversammlung vorgelegt. Die entscheidende Sitzung fand am 30. Januar um 18.00 Uhr im Restaurant des Deutschen Schauspielhauses, Kirchenallee 39, in Hamburg statt. Danach konnte die Eintragung ins Vereinsregister gemäß § 2 erfolgen. Die DML unterstellte sich der Aufsicht der Senatskanzlei der Freien und Hansestadt Hamburg und wurde als gemeinnützig anerkannt.
Durch ihr langjähriges inzwischen verstorbenes Mitglied, Bruder Mahmoud Heitmann, besass die DML schon früh die Unterstützung des ehemaligen Grossmuftis von Jerusalem, Seine Eminenz Hadsch Amin al Husseini (1895-1974) und Präsidenten des Islamischen Weltkongresses. Bruder Mahmoud Heitmann war während des zweiten Weltkriegs (1943) bei Hadsch Amin al Husseini während dessen Exils in Berlin zum Islam übergetreten. Hadsch Amin al Husseini war das erste Ehrenmitglied der DML. Bis 1992 stand in § 1 der Satzung der DML der Satz : “Die Deutsche Muslim-Liga ist Mitglied des Islamischen Weltkongresses.” Dieser Satz wurde 1992 aus der Satzung gestrichen, nachdem der Islamische Weltkongress in der Islamischen Weltliga (Rabita) aufgegangen war.
Bald darauf wurde in Bremen durch die Brüder Sieling und v. Unruh in Übereinstimmung mit § 3 der Satzung der DML ein Zweigverein gegründet. Schliesslich wurde nach langer Vorbereitungszeit die DML Bonn am 12.12.1989 beim Amtsgericht Bonn als gemeinnütziger Verein eingetragen. Ebenso wurde 1995 die Vereinigung Deutscher Muslime Augsburg e.V. als Zweigverein der DML gegründet. Trotz Hinzuziehung eines Rechtsanwalts scheiterte die Eintragung im Vereinsregister unter dem Namen “Deutsche Muslim-Liga” an der Uneinsichtigkeit des Registerbeamten in Augsburg. Nicht zuletzt aus finanziellen Gründen wurde damals von einer Klage vor dem Verwaltungsgericht abgesehen.
In den ersten Jahren veranstaltete die Deutsche Muslim-Liga regelmäßig Zusammenkünfte zu den islamischen Festen, zu denen regelmäßig auch Freunde des Islam eingeladen waren. Die Möglichkeiten waren damals sehr bescheiden, so dass die Zusammenkünfte nur in dem Rahmen stattfanden, den eine kleine 2-Zimmer Wohnung gestattete. Das tat jedoch der Herzlichkeit der Kontakte in keiner Weise Abbruch. Was man tat, geschah aus ganzem Herzen und aus Liebe zu Allah, Seinem Gesandten und seiner Gemeinde.
Ein Zeitzeuge ist Bruder Abdul Karim Grimm, der dazu Folgendes berichtet:
„Die Seele der damaligen DML bestand aus drei Personen. Da war Bruder Nowakowski, ein alter Herr und Kriegsinvalide, der im 1. Weltkrieg ein Bein verloren hatte und sich viele Jahre später eingehend mit dem Islam, dem Koran und vor allem auch mit der arabischen Sprache befasst hatte. Er organisierte die Treffen mit den Muslimen und den Freunden des Islam, gemeinsam mit Bruder Amin Neuhaus. Dieser war der Jüngste und mit der Pflege der Kontakte zu den muslimischen Studenten betraut. Und da war Frau Bohnsack, eine ältere Dame, deren Sohn und Enkel (Mahmoud Heitmann) als Geschäftsleute in Saudi Arabien, in Riad bzw. Jeddah lebten.
Ich war sehr oft im Hause von Herrn und Frau Nowakowski eingeladen. Immer wenn ich nach Hamburg kam, besuchte ich Familie Nowakowski und traf häufig Frau Bohnsack bei ihnen an. Ich war jung und ein Heißsporn, kam mit vielen Ideen aus aller Welt nach Hamburg, und es war sehr heilsam für mich, dass die drei alten Herrschaften mich ab und zu auf den Teppich der Wirklichkeit zurückholten. In meiner Erinnerung sind sie Oma und Opa Nowakowski und Oma Bohnsack. Ich hatte zu ihnen ein iniges Verhältnis, das sich in dieser damaligen kühlen Zeit besonders in mein Gedächtnis eingeprägt hat.
Nach dem Ableben der drei alten Herrschaften – Oma Nowakowski ging als erste – ruhte die Arbeit auf den Schultern von Bruder Amin Neuhaus. Er veranstaltete einmal monatlich eine Zusammenkunft in wechselnden Räumlichkeiten. Auch unterhielt er Kontakte zu den Studenten, wie ich schon sagte, und auch zu uns deutschen Muslimen. Verschiedentlich richtete er Klassen ein, in denen von ihm Arabisch-Unterricht erteilt und Tafsir al-Qur’an gelehrt wurde. Durch die im Ausland ansässigen Mitglieder, hatte die DML natürlich auch gute Kontakte zu arabischen Regierungen und zur Azhar-Universität in Kairo.
Seit ihrem Bestehen 1952 und ihrem Eintrag ins Hamburger Vereinsregister 1954 hat sich die DML ehrlich bemüht, den Islam in Deutschland würdig zu vertreten.“
Schon Anfang der 50er Jahre hatten die Brüder Dultz und Neuhaus die Idee, auf dem Hamburger Schlachthof halal zu schlachten und durch den Verkauf von halal-zertifizierten Würstchen dabei auch etwas für die finanzielle Seite der Muslim-Liga zu tun. Sie erreichten tatsächlich eine Ausnahmeregelung, unter Aufsicht eines deutschen Fleischers schlachtete sein muslimischer Berufskollege nach den Vorschriften seiner Religion. Durch das DML Mitglied Hardorp (Direktor von Sinalco in Detmold) war man auch mit Sinalco-Extrakt in Korbflaschen versorgt, und so ergab es sich, dass damals auf allen Versammlungen der DML, Würstchen und Sinalco gereicht wurden. Ort des Treffens war das Haus von Ayatollah Kaschani, dem geistlichen Oberhaupt der Iraner in dem damals zu 80% in Trümmern liegenden Hamburg. Sein Haus schräg gegenüber der heutigen Imam Ali Moschee hatte die Bombenangriffe der Alliierten unbeschädigt überstanden.
Von Anfang an hat die DML immer großen Wert darauf gelegt, ein Gemeinschaftsge-fühl unter ihren Mitgliedern zu entwickeln, die damals zumeist in Hamburg lebten. Man kümmerte sich umeinander, es gab ein gemeinsames Leben, gemeinsame Feiern, Übertritte und auch immer wieder Versuche, Dinge auf den Weg zu bringen, so 1954 und 1958 die Anträge auf Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts, die beide abgelehnt wurden.
Laut Jahresbericht 1957 ließ sich auch der zunächst geplante Bau einer Moschee in Hamburg aus Kostengründen nicht verwirklichen. Es gab einen Besuch des damaligen ägyptischen Religionsministers Baqouri und in diesem Zusammenhang Gespräche mit dem seinerzeitigen Präsidenten der Hamburger Bürgerschaft, Adolph Schönfelder. Dabei wurden fertige Pläne für eine Moschee in Hamburg vorgelegt. Ein geeignetes Grundstück wollte die Stadt zur Verfügung stellen, jedoch scheiterte das Vorhaben letztlich aus finanziellen Gründen. Man beschloss aber damals, an dem Plan festzuhalten und das Gespräch auch auf anderen Ebenen zu suchen.
Hervorgehoben wird aber auch in diesem Bericht, dass sich Aussprachen im Rahmen von Veranstaltungen der Evangelischen Akademie in Hamburg, sich auf „einer erfreulichen Ebene von Toleranz und gegenseitigem Verständnis“ bewegten.
Dass sich die DML schnell eines wachsenden Zuspruchs erfreute, wird aus der Mitteilung deutlich, dass bereits in Bremen, Eschweiler, Stuttgart, Luthe und Attendorn Mitglieder vorhanden waren. Um die Belange der deutsch-arabischen Freundschaft kümmerte sich besonders Bruder Hardorp in seinem Bereich.
Zur Pflege der Mitgliederkontakte fanden regelmäßig Sprechabende in der Wohnung des Vorsitzenden (Br. Nowakowski) statt. Auch die Zusammenarbeit mit dem Landesverband Bremen, der inzwischen gegründet war, verlief zufriedenstellend. Am 31.12.57 hatte die DML immerhin schon 22 ordentliche und 21 außerordentliche Mitglieder.
1958 wurde Abdullah Borek 2. stellvertretender Vorsitzender DML; während eines Aufenthaltes in Saudi Arabien war er von Br. Heitmann für die DML geworben worden.
Auch in späteren Jahren stand er regelmäßig als Vorstandsmitglied und Vorsitzender (1990-1996) der Deutsche Muslim-Liga zur Verfügung. Durch die Herausgabe des seit 1991 (bis 2003) regelmäßig erscheinenden „DML-Rundbriefes“ sowie sein Buch „Islam im Alltag“ hat er sich um die Belange des Islam in Deutschland verdient gemacht. Die DML verdankt ihm außerdem die reich bebilderte Broschüre „Islam und Muslime – Informationen zum Verständnis einer Weltreligion“, die ebenfalls dazu beigetragen hat, die DML einem breiteren Publikum in Deutschland bekannt zu machen. Etwa 1.500 Exemplare wurden im Islam-Pavillon der EXPO 2000 in Hannover verteilt.
(Verfasser: Leonhard Abdullah Borek, 2004)